(Achtung: Spoiler ohne Ende.)
Schon ist es wieder vorbei! Ich habe mir wirklich Zeit gelassen – und trotzdem war ich innerhalb von zwei Wochen durch mit der vierten Staffel meiner Lieblingsserie. Warum jeder OITNB gucken sollte, habe ich ja bereits erörtert 🙂 Sie legte nun (meiner Meinung nach) ihre beste Staffel bislang hin – und das trotz gerade für lesbische Zuschauer sehr dramatischer Ereignisse…
Betrachtet man eine komplexe Serie wie OITNB rein durch die lesbische Brille, so bleiben am Ende der vierten Staffel folgende Punkte festzuhalten:
- OITNB geizt nicht mit lesbischen und bisexuellen Charakteren. Nicky ist endlich zurück, Crazy Eyes erlebt ihre ersten, wenn auch nicht idealen sexuellen Erfahrungen mit Maureen und Poussey ist in Blasian-love mit Soso.
- OITNBs konstanteste Liebesgeschichte bleibt die zwischen Alex und Piper. Nach der enttäuschenden Entwicklung von Vauseman in der 3. Staffel (in der Piper auf ihrem Egotrip abdriftete) brauchten beide ihre persönlichen Tiefpunkte – der Mord in Alex Fall und die Nazi-Brandmarkung in Pipers – um darauf zukommen, doch lieber gemeinsam durch die Hölle zu gehen. Und das taten sie gegen Ende der vierten Staffel wieder sehr süß und so, dass ich Hoffnung habe, Vauseman möge nun länger als ein paar Episoden bestehen. Bis zum Ende der siebten Staffel und darüber hinaus, zum Beispiel, wäre nicht schlecht.
- OITNB zeigt uns Frauen, die Frauen lieben in allen Rassen, egal ob weiß, asiatisch, schwarz oder was auch immer – und zelebriert die Vielfalt. Eine markante Vertreterin dieses letzten Punkts war sicherlich Poussey Washington, die als liebenswerter, dunkelhäutiger Tomboy zu den beliebtesten Charakteren der Serie zählte. Zählte. Denn die vierte Staffel von OITNB endet mit einem emotionalen Tiefschlag: Poussey stirbt.
Wahrscheinlich wird sich die vierte Staffel von OITNB in Zukunft in den Köpfen der Zuschauer vorallem auf dieses Ereignis hinunterbrechen lassen. Die liebe, lustige, immer hilfsbereite und gutherzige Poussey wird unglücklich erstickt in einer chaotischen Szene, die ursprünglich als friedlicher Widerstand geplant war. Im Internet folgte ein Aufschrei des Entsetzens – nicht nur, weil ein geliebter Charakter auf so fürchterlich vermeidbare Art und Weise sterben musste, sondern auch, weil sie durch ihre dunkle Hautfarbe und lesbische sexuelle Orientierung gleich zwei Minderheiten vertrat, die es in der Kombination umso seltener in den Medien zu sehen gibt. Was hat sich die Serie dabei gedacht? Was will uns diese vierte Staffel von Orange Is the New Black damit sagen?!
Lesbische Charaktere und das Dead Lesbian Syndrome
Nun ist es so, dass OITNB wirklich viele Charaktere bietet, mit denen sich queere Frauen identifizieren können. Wir haben lesbische Figuren wie Boo, Nicky und Alex, wir haben bisexuelle Figuren wie Soso, Morello und Piper. Frauen, die auf Frauen stehen, könnten sich freuen, endlich eine Serie nach The L-Word zu haben, in der sie so viel Repräsentanz erfahren. Aber: Lesbische Sichtbarkeit ist das eine – wie sich diese Sichtbarkeit gestaltet, ist wieder etwas anderes. Erst vor kurzem beklagte die LGBT-Community, dass der lesbische Charakter Lexa aus der Serie The 100 sterben musste. Kurz darauf starb ein lesbischer Charakter bei The Walking Dead. Dies sind nur aktuelle Beispiele vieler, vieler lesbischer Serientode im Verlauf der Fernsehgeschichte – ein Phänomen, das sogar einen eigenen Namen genießt: Dead Lesbian Syndrome. Nur ein Beispiel: Gegenüber mehr als 155 getöteten, queeren weiblichen Charakteren im US-Fernsehen, gibt es sage und schreibe nur 18 Pärchen, die überlebt haben. Mittlerweile haben lesbische Zuschauerinnen die Schnauze voll davon. Minderheiten leiden darunter, wenn sie in den Medien falsch oder eben gar nicht dargestellt werden, denn so tragen Medien dazu bei, ihren schwierigen Stand in den Köpfen der Gesellschaft zu zementieren. OITNB begibt sich also nun mit dem Tod eines wichtigen, lesbischen, afroamerikanischen Charakters auf ganz dünnes Eis. Eine Autorin der renommiertesten Website für Lesben, Afterellen, postete prompt einen Artikel, in welchem sie erläutert, dass sie die Serie OITNB aufgrund von Pousseys Tod nun nicht mehr gucken würde (Why I’m not Watching Season 4 of Orange Is the New Black). Sie sei es leid, dass schwarze und LGBT-Charaktere dafür herhalten müssen, dass weiße, privilegierte Zuschauer etwas lernen. Sie hat da durchaus einen Punkt:
“LGBTQ people are hungry enough for representation that we’ll watch shows and movies brimming with hurtful tropes just to see someone who we can relate to getting a little airtime. Showrunners know this, and they exploit it, using LGBTQ characters as fodder for shocking plot twists because they know we have nowhere else to go.”
Trauer und Enttäuschung hin oder her – vom Boykott halte ich gar nichts. Es macht keinen Sinn als LGBT-Zuschauer eine Serie zu schneiden, die LGBT-Sichtbarkeit dermaßen hochhält wie Orange. Dass eine Website wie Afterellen – die mich letztes Jahr bereits mit einem Artikel darüber, dass Alex oder Piper oder am besten gleich beide aus der Serie gestrichen werden sollten, tierisch aufgeregt hat (Orange Is the New Black doesn’t need Piper and Alex anymore) – erneut lautstark gegen OITNB schießt, bestätigt mich in der Befürchtung, dass die LGBT-Community dazu tendiert, sich selbst zu zerfleischen. Natürlich gibt es Themen und ihre Darstellungsweisen, die man durchaus diskutieren kann. Aber was hätten wir denn von einer Serie, in der alle lesbischen Charaktere nur glücklich und zufrieden sind, niemals Probleme haben und sowieso niemals sterben? Was hätte das mit der Welt, in der wir leben, noch zu tun und inwieweit könnte so eine Sendung auch nur irgendetwas in den Köpfen der Zuschauer auslösen oder gar ändern? Wollen wir denn eine lesbische Friede-Freude-Eierkuchen-Welt im Fernsehen abbilden, wenn die Realität tatsächlich nicht so aussieht und dringend weiterer Anpassungen bedarf?
Natürlich kann ich die Wut und das Entsetzen über Pousseys Tod auch verstehen. Rein subjektiv hat jeder seine eigenen Lieblinge und seine individuellen Gründe, mit diesem Charakter mitzufiebern. Stelle ich mir vor, die Serie hätte, wie man ja nach dem Cliffhanger am Ende der dritten Staffel durchaus befürchten konnte, Alex sterben lassen – ich wäre so sauer auf Orange, vielleicht würde ich auch wutentbrannt verkünden, die Serie nie mehr sehen zu wollen. Fiktive Charaktere können uns sehr ans Herz wachsen. Für mich war Poussey ein sympathischer Charakter – allerdings habe ich mich nicht sonderlich mit ihr identifiziert. Was daran liegen mag, dass ich keine dunkelhäutige, lesbische Amerikanerin bin, die nochmal mit ganz anderen gesellschaftlichen Vorurteilen zu kämpfen hat, als ich, weiße, homosexuelle Frau in Europa. Vielleicht hat Identifikation wirklich solch banale Gründe. Mein Fokus, wenn ich OITNB gucke, liegt nicht auf den Problemen der Black Community. Ich mag die Charaktere, ich lache mit ihnen und es tut mir weh, wenn sie leiden, wie Taystee am Ende von Episode 12 – aber bisher waren die von Rassen-Problemen geprägten Geschichten nicht die, die mich persönlich am meisten gepackt haben. Immerhin schafft diese Serie aber nun, dass ich die Zusammenhänge erkenne und für solche Probleme sensibilisiert werde. Ich kann nun, durch meine Sympathien für Taystee und Co. angesichts dieser Ereignisse, nachfühlen, warum sie in Episode 13 den Aufstand anzetteln, der in der fünften Staffel sicher folgenreich sein wird. Und ich kann den Schmerz, den so mancher Poussey-Fan jetzt spürt, verstehen.
Mehr als ein lesbischer Serientod
Nichtsdestotrotz denke ich, ist es wichtig, festzuhalten, dass OITNB hier nicht einfach einen lesbischen Tod gezeigt hat und auch nicht einfach den einer Schwarzen. Pousseys Tod lässt sich nicht einreihen in die Sammlung dummer, unnötiger lesbischer Serientode. Warum? Poussey starb nicht einfach so, weil die Autoren der Serie einfach Lust hatten, jemanden sterben zu lassen. Sie starb für einen höheren Grund. Vielleicht als mahnendes Beispiel dafür, wie das System Unschuldigen das Leben kosten kann, wie schlechtes Management die Menschlichkeit vergisst und auch dafür, dass Schwarze immer noch wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Black Lives Matter ist nicht umsonst ein großes Thema in den USA. Man könnte sagen, auch wenn es hart klingt: es macht Sinn für die Story, dass es Poussey getroffen hat. Für einen aufwühlenden Effekt musste jemand sterben, der beliebt war, der Hoffnung für sein zukünftiges Leben hatte und auch die Chance, aus sich etwas zu machen. Solche Geschichten tun besonders weh. Ihr Flashback in der letzten Episode, der sie nachts durch New York durch irrwitzige Zufälle irren lässt und noch einmal betont, wie schön eine aufgeschlossene, tolerante Welt sein kann, hat ihrem Charakter und ihrem Tod eine nahezu epische Bedeutung mitgegeben. Am Ende schaut Poussey den Zuschauer direkt an, durchbricht die vierte Wand, und macht damit noch einmal ganz klar: Behaltet mich in Erinnerung, so fröhlich und gut wie ich war – denn die Welt kann so sein.
Ist das nicht, liebe OITNB-Freunde und besonders Poussey-Fans, eine große und ungemein wichtige Botschaft, die hier durch Poussey Washington verkörpert wurde? Ist das nicht das Beste, was irgendeine fiktive Figur ausdrücken könnte – und das hier auch noch in Form einer homosexuellen, dunkelhäutigen Frau? Ich denke, OITNB hat mit dieser Geschichte keine Minderheiten kleiner gemacht oder die Unsichtbarkeit schwarzer und/oder lesbischer Frauen gefördert – sondern ein dickes, fettes Ausrufezeichen gesetzt, das auch jene Zuschauer erreicht, die sonst nicht über Rassismus oder Homophobie nachdenken. Jetzt denken sie nach. Das ist das Größte, was eine Serie erreichen kann, und es ist das, was uns als LGBT-Community wichtig sein muss. Sichtbarkeit.
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