Es ist ein Satz, der mir im Netz bei LGBT-Themen häufig begegnet: “Man verliebt sich in den Menschen, nicht in das Geschlecht.” Grundsätzlich ist das ein schöner Satz. Und trotzdem stoße ich mich an ihm. Nähme man diesen Satz genau – dann hieße das doch, dass es so etwas wie sexuelle Orientierungen gar nicht gibt…?

YouTuberin Melina Sophie hat vor kurzem ein Video veröffentlicht, in welchem sie beschreibt, was sich seit ihrem Coming-out Video in ihrem Leben verändert hat. Ich hab mal einen Blick in die Kommentare darunter riskiert und festgestellt, dass neben ca. 80% Mist (zu dem ich neben wirklich beleidigenden Sätzen auch sowas wie “das Thema interessiert doch niemanden” zähle) sich doch einige Kommentatoren positiv äußerten und gerne den Satz hinzufügten:

“Man verliebt sich in den Menschen und nicht in das Geschlecht.”

Das ist wirklich nett gemeint. Und viele, viele Menschen finden sich in diesem Satz wieder. Ich allerdings nicht. Nein, irgendetwas in mir zieht sich bei diesen Worten zusammen und schüttelt sich widerwillig. Dabei spiegelt dieser Satz ja eine sehr liberale Weltanschauung, die ich eigentlich feiern möchte! Warum kann ich das nicht?

Der Satz vereinfacht mir zu stark. Klar, ich verliebe mich nicht in ein Geschlecht und schon gar nicht in Geschlechtsteile – sondern in den Menschen, zu dem diese gehören. Aber da sind wir schon bei meinem Problem. Denn ich verliebe mich nur in Frauen. Das war mein Leben lang so und ich gehe stark davon aus, dass das so bleiben wird. Wie kann ich da auf die Idee kommen, das hätte nur mit dem Menschen und nichts mit dem Geschlecht zu tun?

Wenn man jetzt mal nicht mit Gender Studies anfängt und alles als reine menschengemachte Konstrukte ansieht, sondern oberflächlich darauf schaut, dann ist es doch so, dass Menschen Geschlechter haben. Sie gehören zu ihnen und sind biologisch meist offensichtlich. Es gibt Männer und es gibt Frauen und es gibt auch solche, die beides sind – körperlich und/oder geistig. Jetzt ist es auch so, dass sich häufig Menschen gegenteiligen biologischen Geschlechts ineinander verlieben – Männer und Frauen eben, Heterosexualität. Es gibt auch Menschen, die sich in ihr eigenes Geschlecht verlieben – Homosexualität. Und es gibt eben die, die sich in Männer und Frauen oder eben auch in Menschen mit ganz anderer Geschlechtsdefinition verlieben. Alle verlieben sich in den Menschen und nicht in das Geschlecht – aber das Geschlecht spielt trotzdem eine wichtige Rolle dabei, denn sonst würde ich mich doch nicht nur in Frauen verlieben?!

Wenn ich mich in den Menschen verliebe und nicht in das Geschlecht – kann ich mir meine Sexualität dann aussuchen?

Ich weiß, ich reibe mich hier an einem kontrovers diskutierten Thema. Geschlechter, sexueller Orientierung und Identität – das sind furchtbar heiß diskutierte Begriffe und sie angemessen aufarbeiten können Experten der Sexualkunde oder der Genderforschung besser als ich. Deswegen versuche ich das gar nicht. Was mich persönlich an dem Satz “Man verliebt sich in den Menschen, nicht in das Geschlecht” stört, ist, dass er impliziert, jeder könnte sich in jeden verlieben, weil es ja nur um die Persönlichkeit geht. Das fühlt sich für mich an, als würde man meine sexuelle Identität ignorieren und untergraben. Das ist ja so, als würde ich mir aussuchen, lesbisch zu sein und wenn ich wollte, dann könnte es auch anders sein.

Melina Sophie selbst erzählt in ihrem Video übrigens, dass sie ja nicht wissen kann, ob nicht irgendwann ein “Bombentyp” vor ihr steht, in den sie sich verliebt und ob es das dann war mit dem Lesbischsein. Hm. Natürlich weiß man nie, was die Zukunft bringt – aber ich zum Beispiel, die ich mich auch als lesbisch verstehe, kann mir den bombigsten Typen der Welt vorstellen und es regt sich in mir – nichts. Da ist kein Hinweis darauf, dass sich das ändern könnte. Sollte ich trotzdem davon ausgehen?

Jetzt könnte man fragen: Warum sollte ich nicht davon ausgehen, dass das so kommen könnte – wäre das etwa schlimm? Faktisch: Nein, mein Leben wäre vielleicht sogar einfacher, wenn ich doch plötzlich den heterosexuellen Weg gehen könnte, der der akzeptierteste Weg der Welt ist. Aber für mich im Hier und Jetzt: Ich will nicht, und ich glaube, ich kann auch gar nicht, an (m)einer sexuellen Identität rütteln. Dann würde ich ja allem, was ich im letzten Jahrzehnt (und darüber hinaus) über mich gelernt habe, seine Wichtig- und Richtigkeit absprechen. Es hat gefühlt eine halbe Ewigkeit gedauert, endlich an den Punkt zu kommen, an dem ich Männer nicht mehr als potenzielle Partner betrachten musste, einen Strich unter das Kapitel setzen und meine Homosexualität als zu mir gehörig annehmen konnte. Das war ein phänomenaler Schritt für mich als Persönlichkeit.

Ich habe eine sexuelle Identität. Und das ist auch gut so.

Meine sexuelle Identität als Lesbe ist nicht nur so eine Randerscheinung für mich – sie ist ein ganz großer Teil meines Alltags, bestimmt immer wieder meine Erfahrungen und Gedanken, mein Lieben und letztlich mein Leben. Das ist keine bloße Laune der Natur – und auch keine Entscheidung. Und wenn dann so ein Satz daher kommt und mir unterschwellig verklickern möchte, dass ich das Lesbischsein gar nicht wichtig nehmen müsste, weil ich mich ja in Menschen unabhängig von ihren Geschlechtern verliebe – dann ignoriert das leider einen Teil meiner Identität.

Lange Rede, kurzer Sinn. Man verliebt sich in den Menschen, nicht in das Geschlecht: Jein!

Ich freue mich für jeden Menschen, der sich in diesem Satz wiederfindet. Ich bin aber dafür, Menschen ihre persönlichen sexuellen Identitäten zu lassen – egal ob hetero, schwul, lesbisch, bi oder pan – und nicht alle über einen Kamm zu scheren. Wie heißt es – Freiheit endet dort, wo die Gleichmacherei beginnt. Es lebe die Vielfalt!