Auf Netflix könnt ihr den Film “Nur die halbe Geschichte” finden – und eine warmherzige Geschichte über die erste Liebe und ihre Verwirrungen… Geschrieben und umgesetzt von der homosexuellen Regisseurin Alice Wu.

Es gibt unzählige Teenager-Komödien über die erste Liebe, auch über die erste queere Liebe – und meist verlaufen sie alle ähnlich. Oftmals sehen wir eine Protagonistin, die sich vom unscheinbaren Mauerblümchen hin zur glücklichen, selbstbewussten jungen Frau entwickelt und nach einigem Hin- und Her eine Liebe findet. Oft ist dies nicht ihr ursprüngliches Objekt der Begierde, sondern eine von ihr unterschätzte, übersehene Person, die sich als absolut perfektes Match herausstellt. Wir alle kennen Highschool-Romanzen, die nach diesem Schema funktionieren.

Liest man die Handlung von “Nur die halbe Geschichte”, könnte man meinen, dass man bereits die ganze Geschichte kennt…

Ellie ist eine unscheinbare und strebsame Schülerin an einer Highschool in einem Kaff im Nirgendwo von Amerika. Ihr einziger sozialer Kontakt zu ihren Mitschülerinnen und -schülern erfolgt aus ihrem Bezahldienst: Ellie schreibt Aufsätze gegen Geld. Eines Tages will auch Paul, ein gutherziger aber mit Worten nicht so cleverer Mitschüler, Ellies Schreibkünste für seine Zwecke bezahlen – jedoch nicht für einen Aufsatz, sondern für einen Liebesbrief. Paul schwärmt für die allseits beliebte Aster, die unerreichbare Highschool-Schönheit, welche zudem mit dem Highschool-Schönling liiert ist. Nach anfänglichem Zögern willigt Ellie ein, Paul zu helfen und in seinem Namen mit Aster zu schreiben. Doch dann verschwimmen langsam die Grenzen, wer hier seine Gefühle für wen ausdrückt…

Die Story liest sich nicht neu. In einem typischen Verlauf gäbe es zwei Varianten, wie die Geschichte für Ellie ausgeht: Entweder sie durchläuft die Metamorphose vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan und bekommt am Ende das heiße Girl. Oder sie erkennt nach einiger Verwirrung darüber, dass Paul und sie für dasselbe Mädchen schwärmen, dass dieser Schwarm doch bloß eine Illusion ist und sie eigentlich in Paul ihre große Liebe gefunden hat.

Aber, so viel sei gespoilert, so läuft es in “Nur die halbe Geschichte” eben nicht.

Was ist es, das uns zu Menschen hinzieht?

Stattdessen stellt der Film ein ganzes Spektrum an Fragen über die verschiedenen Formen der Liebe, Freundschaft und was es eigentlich ist, was uns zu den einen Menschen hinzieht und zu anderen nicht? Alle drei Hauptcharaktere Ellie, Paul und Aster leben in ihren persönlichen, teils selbst auferlegten, teils gesellschaftliche geschaffenen Grenzen – und brechen durch die merkwürdige Verbindung, die aus Pauls zunächst naivem Zugang zur Liebe zwischen ihnen geschaffen wurde, jeder für sich immer mehr daraus aus.

Wir sehen die verschlossene Ellie auftauen, während sie einen Freund in Paul findet, der ihr zwar geistig unterlegen, aber vom Herzen manches voraus ist. Zugleich durchwandert Paul einen kompletten Wandel in seiner Vorstellung von der Liebe und kommt dem Kern der Thematik vielleicht letztendlich am nächsten. Aster hingegen entpuppt sich als Gefangene ihrer eigenen Ansprüche und derer, die sie der Gesellschaft beimisst. Die Gespräche mit Ellie, die sie glaubt mit Paul zu führen, wecken in ihr ein ganz neues Gefühl des Verstandenwerdens. So bedingt der jeweilige Kontakt miteinander die Entwicklung aller Charaktere, ohne dass es allen unbedingt bewusst ist.

Natürlich bedient sich der Film mancher Klischees – sei es, dass das Streber-Mädchen chinesischer Herkunft ist oder dass die sportlichen Highschool-Jungs allesamt wenig Verstand zu besitzen scheinen… Aber mich persönlich hat das nicht sonderlich gestört. Zu sehr gefiel mir die Dynamik, die Charaktere miteinander entwickelten. Zu sehr gefiel mir die Warmherzigkeit, die die ganze Geschichte durchzieht. Die offen homosexuelle Regisseurin Alice Wu hat “Nur die halbe Geschichte” geschrieben und umgesetzt – und in meinen Augen damit einen sehr wertvollen Wurf in der weiten Kategorien der Teenie-Romanzen geschaffen.

Fazit: Anschauen!

Ich fühlte mich zurückversetzt in die Jahre, in denen das ganze Thema der Liebe sich neu und aufwühlend auftat… und seien wir mal ehrlich, so aufwühlend bleibt es dann an Leben lang. “Nur die halbe Geschichte” zeigt einfühlsam, dass die Liebe nicht so einfach ist, dass wir Menschen nicht so einfach sind und weder das eine, noch das andere einem klaren Schema folgt. Und damit wird “Nur die halbe Geschichte” zu einer ziemlichen ganzen Geschichte…