Heute ist Christopher Street Day! Das ist doch diese bunte Schwulenparade, die mittlerweile überall abgeht und bei der alle kräftig feiern und saufen. Nicht wahr? Jein. Parade und Feiern, das stimmt schon – aber der CSD ist viel mehr als das. Spätestens der Anschlag in Orlando hat der Welt wieder vor Augen geführt, wie wichtig die Stärkung queerer Sichtbarkeit und Rechte heute noch ist. Und: Dass wir uns alle daran beteiligen sollten.

Mit 14 Jahren, also im Jahr 2004, war ich in Berlin mit meiner Mutter. Wir waren dort, um uns das Musical Les Misérables anzusehen – ein kurzer, schöner Wochenendtrip. Ich erinnere mich noch genau, wie der Portier im Hotel uns warnte, dass an jenem Wochenende CSD-Parade wäre. Er kräuselte seinen Schnurrbart und setzte einen gequälten Gesichtsausdruck auf: “Da sieht man viele unschöne Sachen. Brüste oben und unterm Rock dann einen… Sie wissen schon.” Dann sah er zu mir, verzog die Lippen mitleidig: “Was die da machen, das muss man sich nicht ansehen. Gerade die Jüngeren nicht…” Dieser Einschätzung nach schlussfolgernd, dass der CSD so etwas wie eine öffentliche Schwulen-Gangbang-Party zu sein schien, sind wir tatsächlich nicht hingegangen. Aber was das interessante an der Sache war: Der Portier war selbst stockschwul.

Woher kam seine Anti-Haltung dem CSD gegenüber? Teilweise vermutlich tatsächlich von manch allzu offensichtlichen Gebähren mancher CSD-Teilnehmer, die es mit der “Sichtbarkeit” zu genau genommen haben. Aber vielleicht kam seine Haltung auch aus der Frustration heraus, dass der CSD seine eigentliche Bedeutung verloren hat und als Event für die Gleichberechtigung aller Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten, was er ja eigentlich sein sollte, nicht mehr zu empfehlen war? Weil er vielleicht missverstanden wurde und nur eine reine, schrill-bunte Parade abgab, die mit politischer Bedeutung nichts mehr zu tun hatte? Weil der CSD zu kommerziell geworden war, wie auch die Philosophin Judith Butler 2010 beklagte?

Was der CSD eigentlich bedeutet

Ursprünglich geht der Christopher Street Day auf einen Aufstand vom 28.Juni 1969 in Amerika zurück. In der Bar Stonewall, einer Bar für Homosexuelle, auf der Christopher Street, New York, wurden damals vermehrt gewalttätige Razzien durchgeführt. Die Razzia am Abend des 28. Juni führte zu einer Reihe Straßenschlachten mit der amerikanischen Polizei. Diese Zeit markiert geschichtlich den Beginn der Schwulen- und Lesbenbewegung. Seither wird in New York am letzten Samstag im Juni, dem Christopher Street Liberation Day, jenen Aufständen mit einem Straßenumzug gedacht. Andere Großstädte zogen nach und heute gibt es in nahezu jeder großen Stadt einen eigenen Christopher Street Day. Die beiden größten in Deutschland sind der CSD in Berlin und der CSD in Köln.

Nicht den CSD zu besuchen, sollte niemals die Empfehlung sein

Bunte Luftballons unter dem Kölner Dom gegen Homophobie: Beim CSD geht es um Sichtbarkeit von Vielfalt und Toleranz.

Bunte Luftballons unter dem Kölner Dom gegen Homophobie: Beim CSD geht es um Sichtbarkeit von Vielfalt und Toleranz.

Ich erinnere mich an jenen Portier heute, weil ich genau das, was er uns damals riet, niemandem raten müssen möchte. Nicht den CSD zu besuchen, sollte niemals die Empfehlung sein. Vor einem Monat erst hat ein Anschlag eines einzelnen, hasserfülltem Menschen 49 Mitgliedern der LGBTQ-Szene in Orlando das Leben gekostet. Der schreckliche Fall hat uns allen wieder vor Augen geführt: Es gibt noch immer Vorbehalte in der Gesellschaft und es gibt noch immer Menschen, die in Homosexualität eine Bedrohung sehen. Nur Aufklärung und Sichtbarkeit kann Menschen ihre noch so diffusen Ängste nehmen. Dasselbe gilt für uns hier in Deutschland – wo eine Studie herausgefunden hat, dass 40% der Deutschen es als “eklig” empfinden, wenn zwei Homosexuelle sich küssen. Dieser Wert lag 2011 noch bei nur 25%.

Es zeichnet sich ein unschöner Trend ab – und das nicht nur hier, sondern quer durch die Welt, wenn man sich nur mal ansieht, wie politisch rechte Parteien überall auf dem Vormarsch sind. Alles, was wir dagegen machen können, ist wacker bleiben – und den Menschen, die noch an seltsamen Vorurteilen knabbern, zeigen, wie die LGBTQ-Wahrheit aussieht: Unbedrohlich. Vielfältig. Tolerant! Der Christopher Street Day ist dafür gemacht, genau für diese Werte einzutreten.
Deswegen möchte ich hiermit jedem empfehlen, zu einem der vielen CSDs zu gehen! Es ist immer noch an Zeit, Flagge zu zeigen, Farbe zu bekennen und die Vielfalt beim CSD zu feiern – aber eben auch, ihn als das zu nutzen, was er ist. Kein Tag für eine narzisstische Zurschaustellung sexueller Präferenzen. Nein. Ein Tag für die Gleichberechtigung und somit ein Feiern aller Lebens- und Liebesformen! Be proud!