Homosexuell zu sein ist kein Grund dafür, wütend zu werden. Aber die Art und Weise, wie die Welt noch immer mit Homosexualität umgeht, kann schon ziemlich wütend machen! Zeit, Schluss mit Friede, Freude, Eierkuchen zu machen und das, was mich als Lesbe wütend macht, mal beim Namen zu nennen! Dies ist ein Text im Rahmen der Blogparade “#Wut ausdrücken und annehmen” von Lia Rienzi: ‚Einladung zur Blogparade – #Wut ausdrücken und annehmen‘Ein wunderbarer Anlass, um einmal meine ganze lesbische Wut rauszulassen.

Wut ist ein unangenehmes Gefühl – es sitzt im Bauch, infiziert Brust, übernimmt den Kopf und macht alles rasend. Gesellschaftlich wird die Wut kritisch betrachtet – denn meist ignoriert sie die Vernunft, ist von Emotionen gesteuert und neigt zu Ausbrüchen, die später bereut werden. Wut und Unmut werden oft als Stimmungskiller abgetan und ihre Gründe werden ignoriert. Wohin das führt? Das sehen wir gerade ziemlich deutlich in allerlei politischen Debatten und Wahlen verteilt quer über den ganzen Globus. Ein Donald Trump hätte es in einem Amerika ohne Wut nicht auf den Präsidentenstuhl geschafft. Macht das Wut zu etwas per se Schlechtem? Nein! Wut ist kraftvoll. Wer seine Wut und die anderer Menschen nicht ernstnimmt, wird von ihrer Wucht früher oder später erschlagen werden. Stattdessen sollten wir uns fragen, welche Kräfte wir aus der Wut ziehen können.

Heteronormativität macht mich wütend!

Letzte Woche las ich online in der Süddeutschen Zeitung, klickte mich durch verschiedene Artikel und landete auf einem, der eine Studie zum Thema Eifersucht besprach (Link zum Artikel). Der erste Satz dieses Artikels beginnt so: “Wenn der Partner oder Lebensgefährte allzu sehr mit einer fremden gegengeschlechtlichen Person flirtet, bietet das menschliche Verhaltensrepertoire diverse Strategien an, um etwaig aufkeimender Eifersucht zu begegnen…” – und schon spürte ich sie, meine Wut. Entschuldigung, liebe Süddeutsche, aber – dann betrifft mich das Thema Eifersucht also nicht, denn es geht ja nur darum, dass Partner mit gegengeschlechtlichen Personen flirten – wer flirtet schon mit gleichgeschlechtlichen Personen? Ist klar. Zack, ein kleines Wort und schon bin ich als lesbische Frau wieder als unbedachte Minderheit enttarnt. Es ist banal – aber dies ist nur ein Beispiel der allgegenwärtigen Heteronormativität, die der LGBT-Community jeden Tag begegnet. Unsere Existenz und Bedürfnisse gehen unter in der allgemein angenommenen Heterosexualität von allem und jedem.

Ein anderes Beispiel? Ich war im Fitnessstudio. An einem Gerät war ich mir nicht sicher, ob ich es richtig bediente und wandte mich an den dort herumlaufenden Fitnesstrainer. Er erklärte mir das Gerät und fühlte sich dann berufen, mich noch vollzulabern. Er fände, Frauen sollten sich nicht zu viel Gedanken um ihren Bauch machen, er fänd gut, wenn da kein Sixpack wäre, Frauen sollten mehr bei den Männern auf die Bäuche achten und nicht meinen, für Jungs ihren Bauch trainieren zu müssen …Ähm. Klar – weil ich natürlich nur dort an dem Fitnessgerät stand, um meinen Bauch für Männer schön zu trainieren. Genau! Natürlich hab ich gelächelt, genickt – und war froh, als er wieder ging. Es war nicht böse gemeint, was er gesagt hat – aber mir ging tierisch auf den Zeiger, direkt unterstellt zu bekommen, daran interessiert zu sein, dass Männer mich attraktiv finden – einfach nur, weil ich eine Frau bin! Heteronormativität! Sie reduziert mich auf mein Geschlecht und was dieses Geschlecht vermeintlich gut finden sollte. Sie macht mich wütend! Sie macht, dass ich mir in meiner sexuellen Identität übersehen und nicht ernst genommen vorkomme.

Keine Ehe für alle macht mich wütend!

Wir schreiben das Jahr 2017. In 14 europäischen Staaten ist die Ehe längst nicht mehr nur heterosexuellen Paaren vorbehalten – sondern auch für schwule und lesbische Pärchen eine Option, ihre Liebe zu besiegeln. In Deutschland allerdings nicht. Dabei sprechen sich 83% der Deutschen für eine Ehe für alle aus, so viele wie nie zuvor. Die Bundesregierung unter der Führung der CDU weigert sich jedoch weiterhin, auch homosexuellen Paaren eine schlicht gleichberechtigte Verpartnerung zu ermöglichen. Warum?! Es macht mich wütend. Was nehmen Homo-Paare den Hetero-Paaren damit weg? Nichts. Warum muss man homosexuelle Paare noch in die “andere” Ecke stellen, warum muss man noch auf eine klare Trennlinie in der Wertigkeit von gegen- und gleichgeschlechtlicher Liebe bestehen? Deutschland ist so ein hochentwickeltes Land und ich lebe – eigentlich – echt gerne hier; aber verdammt nochmal, wo zum Teufel ist hier das Problem?! Warum sorgt mein Staat dafür, dass sich meine Liebe und Partnerschaft immer noch nur wie eine Liebe und Partnerschaft zweiter Klasse anfühlen muss?

Homophobie und Diskriminierung machen mich wütend!

Warum gibt es immer noch Menschen, die andere aufgrund ihrer Sexualität erniedrigen und fertig machen? Was haben Schwule und Lesben der Welt jemals schlimmes getan? Wovor haben die vermeintlich harten Kerle, die die homosexuellen Kerle verprügeln oder schlimmer, gar Diskotheken stürmen und alle abknallen, so große Angst? Und warum nehmen alle hin, dass die abwertende Abgrenzung zu Homosexuellen bereits im Kleinen so um sich greift. Warum ist das Wort “schwul” zu einem allgemein anerkannten Schimpfwort auf dem Schulhof geworden? Warum sagt man über Dinge, die man abwerten möchte “voll homo”? Warum hat das Wort “Lesbe” so einen unangenehmen Beigeschmack, warum nutzt man es wie eine Beleidigung? Warum?! Es macht mich RASEND.

Fehlende Solidarität macht mich wütend!

Dies ist eine Sache, die ich besonders bei Frauen beobachte, seltsamerweise. Es ist eine Erscheinung, die es Frauen generell nicht leichter macht. Warum zum Beispiel ist das Wort Feministin so negativ besetzt? Ich habe beobachtet, wie Frauen anderen Frauen, die sich eigentlich für Interessen der Gleichberechtigung einsetzen, vorwerfen, sich zu viel zu beschweren. Mein Eindruck ist: Das passiert unter homosexuellen Frauen ganz genauso. Nicht nur, dass sich scheinbar immer weniger Frauen als lesbisch definieren möchten (heute ist man queer), es kaum noch eine lesbische Szene gibt und gar große etablierte lesbische Webseiten wie Afterellen verkleinert werden – es wird sich auch noch untereinander angegiftet. Ich habe nichts gegen Diskussionen, aber wenn man sich zum Beispiel mal in einschlägigen lesbischen Facebook-Gruppen umsieht, fällt auf, dass unter jeder ernsthaften Thematik Zickereien entstehen. Wenn wir bereits untereinander nicht in der Lage ist, zusammenzuhalten – wie soll der Rest der Welt zu uns halten?!

So. Das sind alles Sachen, die mich als lesbische Frau aufregen und wütend machen. Die Kunst ist es jetzt, daraus Energie zu schöpfen, um die Wut-Gründe anzupacken und auszumerzen. Mich nervt die Heteronormativität? Dann muss ich eben sichtbar sein und so dafür sorgen, dass Menschen zweimal überlegen, ob sie alles und jedem Heterosexualität unterstellen und andere Möglichkeiten nicht in Betracht ziehen. Mich stört, dass es keine Ehe für alle gibt? Dann sollte ich mir überlegen, neben welchen Parteien ich mein Kreuzchen setze und neben welchen nicht – und ob ich nicht vielleicht mal eine Demo besuchen sollte! Ich muss mich einsetzen! Mich stören Homophobie und Diskriminierung? Dann muss ich als gutes Beispiel vorangehen und der Welt zeigen, dass es keinen Grund gibt, Homosexualität zu verteufeln. Mir fehlt die Solidarität? Dann muss ich selbst solidarisch sein. Dann sollte ich auch mal Geld für Projekte lesbischer Frauen ausgeben – vielleicht sollte ich zumindest eine Zeitschrift wie die L-Mag oder das Straight Magazin abonnieren, oder mal wieder auf eine Homo-Party gehen.

Es ist egal, was ich tu – aber meine Wut ist ein guter Indikator dafür, dass ich etwas tun sollte. Es macht keinen Sinn, solche Thematiken verbittert herunterzuschlucken und zu beten, dass sich alles schon irgendwie ändern wird. Wut ist ein Zeichen – und damit zu arbeiten erfordert Mut. Wer das begreift, der weiß: Wir selbst müssen die Veränderung in der Welt sein, die wir gerne sehen würden.