Die Gesellschaft wird immer toleranter. Ist das wirklich so? Ich habe bei einer kleinen Umfrage bezüglich der Einstellung der Gesellschaft zu Homosexualität mitgemacht, indem ich Leute auf einer gut besuchten Einkaufsstraße mitten in Essen befragt habe. Mein Eindruck: Es gibt noch immer viele Vorbehalte.

Als lesbische Frau, die sich viele Gedanken über ihren Stand in der Gesellschaft und der Welt macht, war es für mich besonders interessant, mich außerhalb meines bekannten Umfelds mit der Einstellung der Menschen zu Homosexualität zu befassen. Meine persönlichen Erfahrungen in dieser Hinsicht sind gut – ich bin sehr selten mit einer negativen Meinung über Homosexualität konfrontiert worden. Nun ist es aber klar, dass einem auf der offenen Straße ganz andere, verschiedene Menschen begegnen, deren Lebenserfahrungen, sozialer Background etc. sich teilweise stark von dem unterscheiden, was man so aus seinem eigenen Alltag kennt und die eventuell ganz andere Meinungen haben.

Ich habe wahllos ungefähr 30 Menschen angesprochen, von denen die Hälfte nicht mit mir reden wollte. Zwei Personen sind gegangen, als ich ihnen sagte, dass das Thema der Umfrage Homosexualität sei. Ein Herr lachte, ging von dannen und sagte: “Hab ich nichts gegen, aber ich finde, das braucht es einfach nicht!” Nun ja. Unser Fragenkatalog bestand aus 5 Fragen…

1) Kennen Sie in Ihrem Umfeld homosexuelle Menschen?

 

Ja! Alle Leute, die ich gefragt habe, haben diese Frage bejaht. Für mich persönlich war diese Antwort interessant, um einzuordnen, ob es vielleicht einen Unterschied macht, wenn man persönlichen Kontakt zu Homosexuellen hat, oder nicht. Mit dem Wissen um die weiteren Antworten vermute ich: Großen Unterschied macht es nicht. Wahrscheinlich kommt es hierbei noch auf den Grad des Kennens und wie nah man sich steht an, was wir jetzt allerdings nicht erfragt haben.

2) Glauben Sie, dass bei Homosexuellen etwas in der Entwicklung schief gelaufen ist?

Eine provokante Frage. Mehrmals schlug mir hierbei Lachen ins Gesicht, wie aus der Pistole geschossen antworteten die Leute: “Nein!” Ein älteres Paar hingegen antwortete: “Vermutlich schon. Wir haben das auch schon so im Bekanntenkreis miterlebt – dass die Mutter zu dominant war, zum Beispiel.” Zwei weitere, ältere Personen um die 60 Jahre beriefen sich darauf, dass die Gene und das Umfeld dazu beitragen würden, dass Menschen homosexuell werden. (Hier könnt ihr lesen, was ich zu dem Thema Wie wird man lesbisch recherchiert habe.)

3) Denken Sie, dass ein Coming-out heute überhaupt noch nötig ist?

Hier war ich gespannt, ob die Leute diese Frage überhaupt verstehen würden – weil sie eher eine Frage ist, die innerhalb der LGBT-Community diskutiert wird. Dementsprechend fielen die Antworten hier auch sehr unterschiedlich aus.

Manche sagten, Ja, das sei noch nötig, weil es noch keine Selbstverständlichkeit in der Gesellschaft sei. Ein Familienvater antwortete, dass es gerade im Sport heute wichtig wäre, wo es noch viele Vorbehalte gäbe.

Die meisten Leute antworteten, es sei nicht mehr nötig – aber die Begründungen hierfür waren sehr unterschiedlich. Zwei Frauen mittleren Alters sagten, prinzipiell sei es nicht nötig, aber das müsse jeder für sich selbst entscheiden. Zwei Männer, einer Mitte 20, der andere 60+, antworteten: “Nein, denn man merkt es dann ja eh.” Ein älterer Herr sagte gar: “Man sieht es den Menschen an Mimik und Gestik bereits an.” …es lag mir auf der Zunge zu fragen, ob er es mir auch ansehen würde – aber das habe ich mich dann nicht getraut… Am meisten zu denken gab mir die Antwort einer Frau von Mitte 50. Sie sagte: “Nein. Die Leute wollen so etwas nicht sehen. Ich bin da ganz ehrlich – ich bekomme auch immer ein peinliches Gefühl, wenn ich Homosexuelle auf der Straße sehe, die Händchen halten oder sich küssen. Das möchte einfach keiner wissen.” Auf meine Nachfrage, ob das dann bedeuten würde, dass Homosexuelle ihre Zuneigung in der Öffentlichkeit nicht zeigen dürfen, wurde sie unsicher und meinte, es sei einfach schwierig.

4) Sollten Homosexuelle heiraten dürfen wie Mann und Frau?

Wie die großen Umfragen der jüngeren Vergangenheit bereits gezeigt haben, haben hier die wenigsten etwas gegen einzuwenden. Die meisten bejahten hier ohne weitere Zusätze. Zwei ältere Herren zögerten. Der eine sagte, er sei da ambivalent, der andere sagte deutlich: “Heiraten ist einfach etwas anderes.” Die Frau, die fand, dass sie Homosexuelle nicht gerne Zuneigung austauschen sieht, antwortete auf diese Frage, dass sie das für sowas wie Besuchsrecht im Krankenhaus wichtig fände – also prinzipiell Ja sagen würde.

5) Wie fänden Sie, wenn Ihr Kind schwul oder lesbisch wäre?

Die meist genannte Antwort war hier eindeutig: “Dann ist das eben so.” Jedoch unterschied sich die Tonalität dieser Antwort. Während die einen lächelnd mit den Schultern zuckten, verzogen andere die Mundwinkel nach unten. Ein Mann mitte 20 sagte: “Also, wenn es ein Mädchen wäre, dann hätte ich gar kein Problem damit. Bei einem Jungen wäre es schon erstmal schwierig für mich.” Für ein älteres Paar antwortete die Frau: “Unsere beiden Kinder sind, Gott sei Dank, ja, sagen wir mal normal geworden!” …sodass ich nochmal nachfragen musste, was denn gewesen wäre, wenn es nicht so gelaufen wäre. “Dann wäre es schwer gewesen. Aber: Kind bleibt Kind.” Immerhin: Niemand wollte sein Kind verstoßen und niemand hegte Gedanken, die Homosexualität seinem Kind austreiben zu können.

Allgemein fiel auf, dass die jüngeren Personen deutlich weniger Vorbehalte hatten, als die älteren. Bei mir hat das Erlebnis dieser Umfrage meine Weltsicht weder verbessert, noch verschlechtert –  es gab viele nette Antworten, die auch mir persönlich ein gutes Gefühl gaben, aber genauso gab es Antworten, die in mir ein gewisses Brodeln – und lesbische Wut – erzeugt haben. Queerblick.tv hat vor Kurzem eine ähnliche Aktion (auch in der wunderbaren Essener Innenstadt) gestartet und ein echt ähnliches Ergebnis dabei erzielt:

Ich denke, nach wie vor bedarf es Aktionen wie dieser, um mit den Leuten und ihren eventuellen Vorbehalten in Kontakt zu treten und sie zumindest zum Nachdenken zu bringen. Die Gesellschaft ist auf einem guten Weg – aber die Angst vor dem Anderen ist immer noch tief verwurzelt und dort, wo sie sitzt, “wollen die Leute sowas einfach nicht sehen”. Also muss man es ihnen zeigen, bis sie sich daran gewöhnt haben. 😉