Eine Woche vor der Bundestagswahl werden der rechtspopulistischen AfD gute Chancen zugesprochen. Dabei bekommt die Partei, der Rechte für Homosexuelle egal sind und die gleichzeitig als Spitzenkandidatin eine Lesbe hat, auch Stimmen von Homosexuellen. Schwule und Lesben wählen immer öfter rechts. Ein bedenkliches Phänomen, das man Homonationalismus nennt.

Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel irritiert nicht nur dadurch, TV-Shows dramatisch zu verlassen: Sie lebt lesbisch und engagiert sich an der Spitze einer homophoben Partei. Die AfD war stets gegen die Ehe für alle, gegen ein Adoptionsrecht für Homo-Paare, gegen die Thematisierung von Homosexualität im Unterricht an Schulen. Ein Blick in das Programm der AfD für die Bundestagswahl 2017 zeigt, dass sie für die Gleichstellung Homosexueller nicht viel übrig hat:

“Die AfD will, dass sich die Familienpolitik des Bundes und der Länder am Bild der Familie aus Vater, Mutter und Kindern orientiert. Wir lehnen alle Versuche ab, den Sinn des Wortes „Familie“ in Art. 6, Abs. 1 Grundgesetz auf andere Gemeinschaften auszudehnen und der Familie auf diesem Wege den besonderen staatlichen Schutz zu entziehen.”

Homonationalismus: Warum unterstützt man die, die einen selbst diskriminieren?

Alice Weidel hat eine Lebenspartnerin und 2 Söhne. In einem Gespräch mit der FAZ sagt sie: “Ohne meine Familie würde ich das alles nicht packen.” Joa. Durchaus vorstellbar, dass es ein anstrengender Job sein muss, sich in einer Partei auf der höchsten Ebene zu engagieren, die den eigenen Lebensstil – eigentlich – total verwerflich findet. Frau Weidel ist aber nicht das einzige Beispiel. Auch die junge Jana Schneider ist lesbisch und ist gleichzeitig bereit dazu, durch ihr politisches Engagement allen anderen Lesben das Leben schwerer zu machen. In der AfD gibt es sogar eine offizielle Gruppe von Schwulen und Lesben, die “Bundesinteressengemeinschaft Homosexuelle in der AfD”, über welche gemunkelt wird, dass sie nur existiere, damit man der Partei keine Homophobie unterstellen könnte. Der Vorsitzende dieses Verbands erklärte dem Spiegel das Engagement Homosexueller in der AfD so: “Es ist ein typisches Vorurteil, dass alle Homosexuellen grün, links oder liberal wählen müssten. Tatsächlich gibt es viele Homosexuelle, die konservativ denken.”

Der Tagesspiegel beschreibt Weidels Engagement als eine Art Emanzipation von der Identifikation mit der eigenen Sexualität. Sexualität präge die persönliche Identität nicht mehr als eine politische Gesinnung. Hmhm. Also auch Schwule und Lesben können Vorurteile haben, auch sie können rassistische Überzeugungen in sich tragen. Klar. Allerdings klammern sie dabei scheinbar völlig aus, dass sie selbst einst Opfer von Diskriminierung waren. Ihre politische Gesinnung steht im Widerspruch zu ihrem Leben. Für mich klingt das ein bisschen nach Selbstverleugnung.

Rechtspopulistische Parteien leben von Angst – und auch Homos haben Angst

Den großen Zulauf der letzten Jahre haben rechte Parteien (überall in der westlichen Welt) islamistischen Terroranschlägen und der Flüchtlingswelle zu verdanken. Immer mehr Menschen haben Angst – was auch ganz natürlich ist. Angst vor dem Fremden, dem Anderen, dem Unbekannten und vermeintlich deshalb Bedrohlichem – diese Tendenzen sind in uns Menschen verankert. Diese Angst mag nicht reichlich durchdacht sein, doch sie ist da – und Homos haben auch Angst. Vielleicht haben sie sogar noch mehr Angst als manch andere. Tatsächlich scheint der heute verbreitete Homonationalismus dem Gedanken zu entspringen, dass der Islam gegen Frauen und gegen Homosexuelle ist. Immer mehr Homosexuelle setzen nun ihr Kreuzchen bei rechtspopulistischen Parteien – und das nicht nur in Deutschland. 2014 erreichte die niederländische PVV rund 21% der homosexuellen Wahlberechtigen. Bei den Regionalwahlen in Paris sollen 2015 etwa 32% der homosexuellen Ehepaare den Front National gewählt haben – im Vergleich zu 30% der heterosexuellen Ehepaare.

Das Verstörende an diesem Phänomen ist, dass hier Menschen, die aufgrund ihrer eigenen Geschichte ein gewisses Interesse an Toleranz und Vielfalt haben müssten, lieber den potenziellen Weg zurück in enge konservative Schnüren wählen. Sie unterstützen in der Absicht, das Bedrohliche draußen zu lassen, die bedrohliche Macht im Inneren. Sie lassen sich quasi freiwillig lieber von anderen Landsmännern diskriminieren, als von den potenziellen ach so bösen Fremden. Rechte nehmen diese merkwürdige Entscheidung für das vermeintlich kleinere Übel dankend an und gehen gar soweit, sich damit zu brüsten. Mit einer lesbischen Spitzenkandidatin ist es ein leichtes für die AfD zu behaupten, sie wären tolerant – während sie hinter dieser Fassade munter weiter an ihrer Vorstellung eines konservativ, nationalistischen Deutschlands bastelt.

Vielleicht sollten wir uns einmal daran erinnern, welch weiten Weg Homosexuelle gehen mussten, um das freie Leben, das sie heute hier in Deutschland haben können, zu erreichen. Im Nationalsozialismus wurden Schwule kastriert. Noch bis vor wenigen Jahren (1995) wurden Homosexuelle mittels des Strafparagraphen 175 diskriminiert und ausgestoßen. Bis vor wenigen Wochen wurde die Ehe für Homosexuelle strikt abgelehnt. Im Verlauf der Geschichte ist das alles gar nicht lange her. Wer sagt, dass wir dahin nicht zurückkehren können? Ich persönlich möchte es nicht darauf ankommen lassen.

Es bleibt jedem selbst überlassen. Man kann sich mit seiner Angst beschäftigen, prüfen inwieweit sie der Wahrheit entspricht und vielleicht ganz neue Perspektiven so gewinnen. Oder aber man handelt stumpf nach ihr, geht in Abwehrhaltung und setzt sein Kreuzchen bei der AfD. Man vergisst, dass auch keine der anderen Parteien ein Interesse daran hat, dass es in Deutschland Anschläge gibt oder bloß Integrationskonflikte. Niemand will das. Die AfD wählt jemand, dessen persönliche Angst vor dem Fremden größer ist, als das Bewusstsein dafür, dass Fremdes auch Vielfalt bedeutet. Vielfalt bedeutet Dynamik, Horizonterweiterung, Leben! Als Homosexueller ist man selbst ein Teil von “Anders als die meisten” und somit von Vielfalt. Lasst uns das nicht vergessen.

Keine Macht dem Homonationalismus.