Petra Ahrweiler ist Psychologin und bietet in ihrer Praxis speziell Therapie und Beratung für Lesben an. Im Interview spreche ich mit ihr darüber, was sich beim Coming-out für Frauen und Männer unterscheidet, inwiefern lesbische Pärchen andere Probleme als Heteros haben und über den Rechtsruck in unserer Gesellschaft…

Petra! Seit mehr als 20 Jahren bietest Du Psychotherapie und psychologische Beratung an, unter anderem speziell für Lesben und lesbische Pärchen. Durch Deine Facebook-Seite Lesben & Psychologie bin ich auf Dich gestoßen. Was hat Dich dazu bewogen, diese Seite zu gründen?

Da ich schon seit 1990 Beratung für lesbische Frauen durchführe, konnte ich mir ein gutes Wissen und viel Erfahrung in diesem Bereich aufbauen. Psychotherapie für lesbische Frauen ist etwas spezielles, etwas, das nicht jeder anbieten kann.

Ich habe beim Googeln ein Portal gefunden, das Reparativ Therapie anbietet. Eine Therapie, die das Ziel hat, lesbische Frauen oder schwule Männer umzupolen. Mich hat das ganz stark erschrocken, zumal die so hoch bei Google gelistet war. Ich habe den Eindruck, dass es in der Gesellschaft einen Rechtsruck gibt – sodass ich dachte, dass ich etwas dagegen tun sollte! Durch die Facebook-Seite möchte ich mein Wissen und Tipps mit anderen teilen. Ich möchte Mut machen, zu sich selbst zu stehen und sich selbst zu finden.

Was sind typische lesbische Themen und Fragen, die Du behandelst?

Der Prozess der Selbstfindung und des inneren Coming-outs ist ein anderer Aspekt, als die Art Selbstfindung, die Heterosexuelle durchleben. Zudem gibt es heutzutage immer noch Diskriminierung, sie ist nur eher verdeckt. Wobei ich den Eindruck habe, vielleicht wird sie mittlerweile auch wieder weniger verdeckt… Es kommen auch Frauen zu mir und fragen konkret: “Bin ich lesbisch?”

Was antwortest Du Frauen, die fragen: “Bin ich lesbisch oder bi?” Du wirst es ihnen ja wahrscheinlich nicht an der Stirn ablesen können…

Genau! Ich unterstütze die Frauen auf ihrem Weg dahin, ihre eigene Definition zu finden. Dies geschieht hauptsächlich über Fragen, die ich den Frauen stelle, damit sie ins Nachdenken kommen und ihre eigenen Antworten finden.

Was für Unterschiede gibt es bei den Problemen, die lesbische Paare haben, und denen zwischen Frau und Mann oder Mann und Mann?

Ich biete lesbische Paarberatung an. Dort ist es zum Beispiel manchmal so, dass die eine Frau die Beziehung offener geoutet auslebt, als die andere – was dann zu Konflikten führt. Die eine möchte händchenhaltend über die Straße gehen und die andere sagt: “Aber was, wenn mich Kollegen sehen?” Diese Problematik ist mir mittlerweile so oft begegnet, dass ich auf meiner Website kostenloses Material dazu anbiete.

Eine weitere Beobachtung, die ich gemacht habe: es ist nicht so leicht, als lesbische Frau eine Partnerin zu finden. Nicht jede traut sich, beim Bäcker die Bäckersfrau anzuflirten. Das führt dazu, dass die Anzahl an Fernbeziehungen bei lesbischen Frauen größer sein können. Ich kenne da keine Statistiken zu, aber dies ist mein Eindruck. So eine Situation prägt eine Beziehung natürlich. Zudem schlägt sich das Rollenbild einer Frau in einer Frauenbeziehung anders nieder als in einer heterosexuellen Beziehung.

Lesben und Psychologie

Frauen und die Liebe: Bei Lesben entsteht eine spezielle Form der Nähe.

Ich könnte mir vorstellen, wenn zwei Frauen in einer Beziehung sind, ist das eine ganz spezielle Dynamik…

Oftmals sind Frauen anders im Ausdruck der Gefühle als Männer. Es ist eine andere Form von Nähe, die sich zwischen zwei Frauen entwickelt. Oftmals ist die Partnerin nicht nur die Partnerin, sondern auch die beste Freundin. Wenn man heterosexuelle Paare beobachtet, die sich treffen, ist es oft so, dass die Frauen mit den Frauen reden und die Männer mit den Männern. Es herrscht eine andere Umgehensweise zwischen den Geschlechtern. Bei lesbischen Paaren kann das dazu führen, dass sehr viel mehr Nähe da ist – und sich Konflikte dadurch stärker auswirken.

Es gibt wenige Statistiken dazu, doch eine, die ich gefunden habe, besagt, dass sich lesbische Ehen häufiger scheiden lassen als alle anderen Ehen. Hast Du da eine mögliche Erklärung für?

Mir fallen da zwei Sachen zu ein. Zum einen weiß ich nicht, wie repräsentativ diese Statistiken sind. Ich habe in meinem Studium gelernt, dass man sehr vorsichtig mit Statistiken sein sollte. Zum anderen kann ich mir vorstellen, dass in Frauenbeziehungen ein stärkeres Unabhängigkeitsbedürfnis und auch -ausleben stattfindet. In heterosexuellen Beziehungen gelten oftmals noch andere Rollenvorstellungen und andere Abhängigkeiten. Frauen treten beruflich eher zurück und machen sich abhängiger vom Mann, sodass ein größerer wirtschaftlicher Schaden auf dem Spiel steht. Da wird vielleicht eher überlegt, ob man sich wirklich trennen will.

Ist Fremdgehen eine große Thematik in deinen Therapiesitzungen?

Das ist bei heterosexuellen Paaren ein genauso großes Thema wie für Lesben. Was ist die gemeinsame Vorstellung von Treue, wie steht es um das gegenseitige Vertrauen? Das ist dasselbe, ich sehe da keine Unterschiede.

Mal eine provokante Frage, die ich mir allerdings tatsächlich schon oft gestellt habe: Treten bei lesbischen Frauen eher psychische Erkrankungen auf als bei Heterosexuellen?

Eine psychische Erkrankung zu entwickeln ist eine vielfache Wechselwirkung. Es gibt Frauen, die durch ihr Lesbischsein oder nur die Vermutung darüber, sie könnten lesbisch sein, sich massiv selbst abwerten. Wenn man ein sehr negatives Selbstbild hat, dann kann sich das auch auf die Psyche auswirken. In der Fachwelt nennt man das “verinnerlichte Homophobie” – die Angst vor Homosexualität in einem selbst. Allerdings kommen zu mir auch ganz viele heterosexuelle Menschen. Es kann ganz viele Gründe geben, warum jemand eine Depression oder Angststörung etc. entwickelt. Ich glaube daher nicht, dass lesbische Frauen häufiger eine psychische Erkrankung entwickeln als heterosexuelle Menschen.

Es gibt in vielen Köpfen die Annahme, dass Homosexualität durch schlechte Erfahrungen mit Männern oder gar sexuellen Missbrauch entsteht. Kannst Du dazu etwas sagen?

Es gibt genauso viele Frauen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben und heterosexuell sind. Da ist kein Ursache-Wirkung-Zusammenhang.

Was für Auswirkungen auf die Psyche hat es, wenn eine Frau ihre sexuelle Orientierung unterdrückt?

Da kann alles Mögliche passieren. Diese Frau kann einen Mann finden, mit dem sie sich auf irgendeine Weise vorstellen kann, ihr Leben zu verbringen – und dann hat sie irgendwann mit 50 Jahren ihr Coming-out. Es kann aber auch sein, dass diese Frau eine Depression oder selbstverletzendes Verhalten entwickelt. Ich habe auch den Eindruck gewonnen, dass einige Frauen dann zu Alkohol oder anderen Substanzen greifen. Es bedarf einer gewissen Anstrengung, um sich nicht mit der eigenen sexuellen Idenität auseinander zu setzen, sodass man dann Mittel sucht, um sich zu betäuben. Das gilt aber nicht nur für lesbische Frauen, sondern für alle Menschen, die etwas in sich verleugnen.

Und andersherum gefragt: Was für Vorteile bringt der Psyche das Coming-out?

Für viele Frauen bedeutet der Moment, in dem sie sich selbst akzeptieren und erkennen, dass ein riesiger Ballast von ihnen abfällt. Ein positiver Aspekt kann sein, dass erlebt wird, wie ein Verwandter oder Freund viel positiver auf das Coming-out reagiert, als erwartet wurde. Die Erfahrung kann gemacht werden, dass sich Ängste nicht bewahrheiten müssen. Zugleich kann aber auch eine schlechte Erfahrung bedeuten, dass man sich fragt, ob man überhaupt mit einer Person befreundet sein will, die einen nicht so akzeptiert wie man ist. Enttäuschung kann wirklich eine “Ent-Täuschung” bedeuten. In jeder Krise steckt eine Chance.

Ist der Coming-out-Prozess anders für Frauen als für Männer?

Die Form von Diskriminierung und die Bilder in den Köpfen der Menschen sind gegenüber Männern und Frauen unterschiedlich. Frauen werden häufig nicht gesehen und nicht ernst genommen in ihrer sexuellen Orientierung. Männer hingegen werden häufig sehr offen, sehr aggressiv diskriminiert – das geht bis hin zum sogenannten “Schwulenklatschen”. Das Rollenbild von Frau und Mann kann sich auch auf den Coming-out Prozess auswirken – zum Beispiel der Gedanke, dass man als Frau weniger verdienen wird und deshalb nicht so frei leben kann, wie man vielleicht will. Zudem haben wir bestimmte Bilder im Kopf über lesbische Frauen oder schwule Männer. All das kann in den Coming-out-Prozess mit hineinspielen.

Du hast auf deinem Blog einen Artikel namens “Lesbisch und eifersüchtig auf Männer”. Ist das bei Lesben ein spezielles Thema?

Immer mal wieder äußern Frauen, dass sie in der Partnerschaft speziell eifersüchtig auf Männer sind. Es gibt Frauen, für die macht es einen Unterschied aus, ob sie von ihrer Partnerin wegen einer anderen Frau oder eines Mannes verlassen werden. Das kann daran liegen, dass diese Frau sich mit Männern vergleicht und sich in diesem Vergleich selbst abwertet oder als nicht gleichrangig betrachtet. Dies hängt mit dem Selbstbild als lesbische Frau zusammen.

Du hast den Rechtsruck in unserer Gesellschaft angesprochen. Inspiriert von Fr. Weidel aus der AfD, die als Lesbe an der Spitze einer homophoben Partei steht, habe ich einen Text zum Homonationalismus geschrieben. Hast Du eine mögliche Erklärung dafür, warum dieser Rechtsruck so besteht?

Ich denke, dass immer mehr Menschen und leider auch einige lesbische Frauen sich in unserer Gesellschaft benachteiligt und nicht akzeptiert fühlen. Wenn sie vielleicht auch noch glauben, nicht viel dagegen tun zu können, kann sich ihre Wut darüber dann gegen eine andere „Randgruppe“ richten. Im Osten unserer Republik gab es zum Beispiel diese hohe Teilnahme an Pegida-Demonstrationen; im Osten herrscht aber auch eine höhere Arbeitslosigkeit als im Westen. Gleichzeitig haben sie dort einen niedrigeren Ausländeranteil. Da spielt also das Gefühl der Benachteiligung und die Angst vor Fremden mit hinein.

 

Petra, vielen Dank für das interessante Gespräch und ganz viel Erfolg weiterhin!